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Die Sprache im Krieg

März 2003 Disput mit einem MAZ-Kommentator

Sehr geehrter Herr Schuler,

regelmäßig muß ich gutes Geld dafür bezahlen, Ihre Kommentare lesen zu müssen. Ich glaube, das gibt mir auch das Recht, Ihnen einmal meine Meinung zu sagen.

In Ihrem Kommentar vom 29./30.III.2003 haben Sie Formulierungen gebraucht, die mich nötigen, dazu meinen Standpunkt darzulegen.

Sie erklären, man sollte die Debatte um die Nachkriegsordnung mit amerikanischen Augen sehen.

Das ist das, was ich bisher in meiner Zeitung vermisst habe, mehr Verständnis für die Täter. Vielleicht sollten die Gerichtsreporter dazu übergehen, bei Sexualdelikten detailliert zu beschreiben, wie geil und aufreizend die Dreijährige dem Kindermörder erschien, um so sein Tun besser zu begreifen. Sie meinen, der Vergleich ist unpassend? Das stimmt, denn in der Regel tötet so ein - meist kranker - Verbrecher ein, zwei Kinder und wird dann gefasst. Hier werden zahllose Kinder getötet. Täglich kann ich im Fernsehen das lustvolle Geheul der Soldateska hören, wenn sie wieder einen Marschflugkörper auf den Weg schickt, der dann vielleicht die nächste Geburtsklinik in Schutt und Asche legt oder einen belebten Marktplatz "befriedet".

"Selbst wenn die Inspektionen erfolgreich gewesen wären, hätte am Ende keine Entmachtung, sondern ein Persilschein für Saddam gestanden."

Das heißt also, ein negativer Befund der Suche nach Massenvernichtungswaffen wäre ein besonders negatives Ergebnis. Das ist also das Eingeständnis, daß die Suche nach den Waffen tatsächlich nur ein Vorwand war, um die Regierung des Irak zu stürzen.  Es wird immer offensichtlicher, es geht doch nur um den Raub fremder Bodenschätze. Prüfen wir doch einmal die vorgeschobenen Begründungen:

Wie heißt es so schön in der Bibel: Wer frei von Sünde ist, werfe den ersten Stein.                   

Saddam muß weg, meinten Sie.

Wer gibt wem das Recht, ein Staatsoberhaupt eines souveränen Staates "wegzumachen"?  In der Regel steht die Aufgabe nur dem Staatsvolk zu, dem dieser Mensch vorsteht. Ansonsten könnte dies nur die in der UNO organisierte Völkergemeinschaft  im demokratischen Konsens tun. Wenn einzelne Staaten sich jedoch das Recht nehmen, nach Belieben Staatsoberhäupter per Mord (die Täter von heute hatten das schon vielfach zumindest im Plan, wie zum Beispiel gegen Fidel Castro) oder per Krieg zu beseitigen, dann ist das ein Rückfall in die moralische Steinzeit. Man stelle sich vor, daß ein örtlicher Schützenverein loszieht, um einen Journalisten von seinem Schreibtisch zu entfernen, nur weil er in den Augen der anderen zu gefährliche Kommentare schreibt. Das wollen wir doch alle nicht!

An der Stelle sei eingefügt, daß der gegenwärtige Krieg wohl der feigeste ist, den die Menschheitsgeschichte je gesehen hat. Über ein Jahrzehnt wurde der Gegner buchstäblich ausgehungert. Sicher kennen auch Sie die Zahlen der erbärmlich verreckten irakischen Kinder, denen medizinische Hilfe und ausreichend Lebensmittel vorenthalten worden sind. Dabei auch die, denen die Uran-Munition vom ersten Irak-Krieg schweren Schaden zugefügt hatte. Ein internationaler Boykott hatte abzusichern, daß keine Ersatzrüstung nach dem letzte Krieg stattfindet. Völkerrechtswidrige Flugverbotszonen sicherten den potentiellen Angreifern enormen taktischen und strategischen Vorteil.

Die so viel propagierte Entwaffnung des Iraks ist nicht Kriegsziel sondern als Kriegsvoraussetzung betrieben worden. Die Weltöffentlichkeit konnte zusehen, wie die wenigen Artillerieraketen Stück für Stück vernichtet werden mussten, um das Opfer kurz vor dem Angriff weitgehend wehrlos zu machen. Hätte er es nicht getan, hätte er erst recht den Kriegsgrund geliefert. Und dann hatte der, der angegriffen werden sollte, außerdem noch - und das gab es wohl noch nie in der Geschichte - jeden seiner Bunker und Schutzräume, jeden strategisch wichtigen Punkt den Emissären der späteren Angreifer vorzuführen, um die Zielkoordinaten für die Beschießung mit Marschflugkörpern festlegen zu können.

Der jetzige Angriff ist vergleichbar mit einem bulligen 18jährigen, der einem Erstklässler - noch mit Hilfe anderer Halbstarker - auf dem Schulhof die Turnschuhe abziehen will. Und wenn der Kleine sich dabei noch eine Weile seiner geschundenen Haut erwehren kann, ist es nicht verwunderlich, wenn er die Sympathie gewesener oder zukünftiger Opfer gewinnt.

Sie erklären zur beabsichtigten Beseitigung des Saddam Hussein, "genau daran arbeiten die anglo-amerikanischen Truppen."

Das, was Sie als Arbeit bezeichnen, sehen Millionen Menscher dieser Erde verkürzt als RAUBMORD. Ich verstehe unter "Arbeit" was unser Philosoph Fichte meinte, nämlich die "Pflicht der sittlichen und Existenzbedingung der physischen Persönlichkeit". Selbst die Definition von Marx, "Tätigkeit, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert," kann allgemein gelten. Hegel meinte, daß der Mensch durch Arbeit sich selbst, seine Produktivkräfte, seine Gesellschaft, also seine Geschichte erzeugt. Keiner erklärte Mord und Totschlag, das Töten von wahrhaft unschuldigen Frauen und Kindern durch "Kolalateralschäden", das Töten von Verbündeten durch "freundschaftliches Feuer", vor allem die Wegnahme fremder Bodenschätze als "Arbeit".

Nun stellt sich die Frage, woher könnte der Verfasser die Begriffsbestimmung haben?  Ein Lexikon aus der Nazizeit gibt mögliche Auskunft (Der Neue Brockhaus..., Leipzig 1941). Hier wird ARBEIT erklärt als mhd. "Mühe" bzw. "Not". In gleicher Quelle ist der KRIEG erläutert als "Anstrengung". Das schließt sich der Kreis. Dabei glaubte man, dieser Geist sei gerade mit Hilfe der US-Air-Force aus den Köpfen der Deutschen heraus gebombt worden. Doch wie sagte Bert Brecht, "der Schoß ist fruchtbar noch".

"Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass die USA nach all dem wenig Neigungen verspüren zuzusehen, wie Franzosen oder Russen demnächst Öl-Felder im Irak abstecken für die Briten und Amerikaner gefallen sind."

Zunächst sei festgestellt, daß zuletzt, wenn die Kriegstoten gezählt sein werden, tausendfach mehr Iraker für die Ölfelder gestorben sein werden als Amerikaner und Briten (Wobei letztere, wenn man den Nachrichten glauben darf, mehr von Amerikaner als von Irakern zur Strecke gebracht werden). Das erst einmal zu "moralischen" Begründung des Eigentumsanspruchs auf die Ölfelder. Ihre Logik heißt also, wenn Franzosen und Russen Interesse an ausländischem Öl haben, sollen sie sich gefälligst selbst eine Kolonie erbeuten, geteilt wird nicht!

Hier spätestens sei ein Zitat eingefügt, daß mir unlängst von der Leserbriefredaktion herausgestrichen worden ist: Der englische Ökonom T. J. Dunning  hat bereits vor mehr als hundertfünfzig Jahren festgestellt: "Das Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit,... Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens."

Die Antwort des Ressortleiters Politik der MAZ auf mein o. g.  Schreiben:

Sehr geehrter Herr Schulze,

vielen Dank für Ihre Mail und das damit bekundete Interesse an unserer Zeitung. Das Geld, das Sie für unser Blatt ausgeben, gibt Ihnen Gelegenheit, hoffentlich weit mehr als nur meine Kommentare zu lesen. Ihre Meinung ist uns in jedem Falle willkommen.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, halten Sie es für unangemessen, sich damit zu beschäftigen, welche Sicht die USA auf den Irak-Konflikt haben und was sie antreibt. Das kann man so sehen. Boshaft gesprochen, könnte man auch sagen: Ich lasse mir doch meine Meinung nicht dadurch kaputtmachen, dass ich mich in die Gegenseite hineinversetze. Es ist im übrigen gerade Grundlage unseres rechtstaatlichen Systems, bei Gerichtsurteilen (weil Sie das Beispiel ansprachen) durchaus Motivation und Umfeld des Täters eingehend zu würdigen. Daher etwa auch die Unterscheidung zwischen Mord (niedere Beweggründe) und Totschlag (Affekt, verminderte Schuldfähigkeit etc.). Sie haben mich in der Tat richtig verstanden, wenn Sie davon ausgehen, dass die Entwaffnung nicht das eigentliche Ziel der USA war, sondern der Regimewechsel. Auf das Öl des Irak sind die USA allerdings nicht angewiesen. Selbst Kriegskritiker geben das zu. Was Ihre Argumentationsliste betrifft, so bin ich mir nicht sicher, ob Sie sie zuende gedacht haben. Dass die USA nichts gegen den Iran-Krieg hatten, entbindet doch Saddam nicht von seiner Schuld. Auch wenn Gift vom Ausland (übrigens nicht nur von den USA, sondern auch von Frankreich) geliefert wurde, bleibt Saddam derjenige, der es eingesetzt hat. Und wenn andere ebenfalls Nachbarn überfallen haben, rechtfertigt das noch immer nicht die Besetzung Kuwaits. Dass sich unter den Verbündeten der USA Unrechtsregime befinden, kann auch nicht sonderlich erstaunen, erfüllt doch die Mehrzahl der in den UN vertretenen Staaten rechtstaatliche Mindestanforderungen nicht. Warum dieser Zustand dann gewissermaßen in Ordnung sein sollte, erschließt sich mir nicht. Um es kurz zu sagen: Die Tatsache, dass ich versuche, die Denkweise der Amerikaner zu erklären, bedeutet doch nicht, dass ich sie für richtig halte. Es ist  immer gut, wenn man sich zumindest einen Augenblick lang versucht in seinen Widerpart hinein zu versetzen. Meistens sind die Standpunkte nämlich nicht "blöd" oder "gemein", sondern nur anders. Ebenso akzeptiere ich Ihre Ansicht, dass jeder Diktator innerhalb seiner Landesgrenzen mit seiner Bevölkerung machen kann, was er will. Ich teile sie ausdrücklich nicht, weil ich mit etlichen Irakern zusammen aufgewachsen bin, aber es ist Ihnen selbstverständlich unbenommen, nur den jeweiligen Staatsvölkern das Recht zum Machtwechsel zuzubilligen.

Ich finde es allerdings unwürdig von Seiten einiger Europäer, mit allen Mitteln gegen den Krieg der USA und Großbritanniens vorzugehen und schon wenige Tage nach dessen Beginn mit den Fingern zu schnipsen, um beim Verteilen des Fells auch ja dabei zu sein. Wenn man der Ansicht ist, dass die USA selbst wieder aufbauen sollen, was sie zerstört haben (Thierse), muss man sich logischerweise etwas zurückhalten. Über die Details werden wir uns vermutlich nicht einigen können.

Dennoch hoffe ich, dass Sie unserer Zeitung kritisch verbunden bleiben und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Ralf Schuler

Märkische Allgemeine